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Das Dilemma der Sozialdemokratie

Mein Versuch einer Erklärung

Auch ich dachte lange Zeit, die Sozialdemokratie hätte ein sachliches Problem. Wie ist es aber möglich, dass immer auf das falsche Pferd gesetzt wird? Vielleicht liegt es daran, dass nicht das Pferd falsch ist, sondern die Anzahl der Reiter. Allerdings möchte ich gleich klarstellen, dass ich damit nicht die- oder denjenigen an der Spitze der Partei meine. Aber dazu später.

Mir fällt auf, dass wir aktuell einen gewissen Führerkult brauchen. Oder vielleicht besser formuliert, damit keiner glaubt, ich denke, dass wir uns alle in eine dunkelbraune Zeit zurückwünschen: irgendsowas wie eine Monarchie wäre wieder gut. Ein starker Mann, der zwar nie DER Wunderwuzzi sein kann, aber der uns zumindest so leiten und dirigieren kann, dass wir uns gut fühlen.

Anders ist mir das Wahlergebnis nicht erklärlich (EU-Wahl Österreich, 26.05.2019). Die Themen, die die Sozialdemokratie plakatiert hat, sind wesentlich für eine Gesellschaft. Menschen statt Konzerne, gegen die Privatisierung von wesentlichen Infrastrukturen wie Wasser, Chancen für unsere Kinder etc.

Bei der ÖVP gibt es exakt ein Thema: Kurz. Fertig. In den Foren und sozialen Medien wird Kurz als der Sieger der EU-Wahl bezeichnet. Der ist gar nicht angetreten. Ganz im Gegenteil wurde deren (offizieller) Spitzenkandidat Karas bereits im Wahlkampf demontiert bzw. gegen eine weitere Kandidatin ausgespielt. Ist zwar spannend zu sehen, dass der Marketinggag von Saturn und Mediamarkt auch in der Politik funktioniert, jedoch geht es nicht darum, das Ladegerät beim Saturn, statt beim Hartlauer zu kaufen. Es geht um essentiellere Entscheidungen. Auch hier nicht falsch verstehen: eine EVP geführte EU wird alles andere als unser Untergang sein. Da sind schon fähige Personen am Werk, letztlich gibt es immer mehr als nur einen Weg.  Mir geht es um den Kurzkult. Wir wollen einfach einen, der alles für uns regelt. Und am einfachsten werden wir beim Kurz unsere Verantwortung los. Bei der ÖVP fällt mir in letzter Zeit überhaupt nur noch einer auf, der Blümel. Der ist aber nicht nur optisch ein Zwilling, der ist komplett gleichgeschalten, übernimmt die Spins 1:1 vom selbsternannten Messias (was er für UNS ertragen musste!).

Ein wenig spannender wird es bei den Blauen, die machen können, was sie wollen. Sie können uns um Milliarden bescheissen (wollen) und sie können unseren Geheimdienst von der Außenwelt abschneiden, was unsere Grenzen als europäisches Geheimdienstleck letztlich komplett öffnet, wogegen gerade die Blauen angeblich vorgehen wollten. Wenn man die 7. Million auch noch schaffen möchte, dann wird man mit einem verlängerten Urlaub belohnt. Bei den Blauen gibt es allerdings eine breitere Basis an Führungspersönlichkeiten. War dann einer von ihnen doch einmal noch dümmer als vorstellbar, kommt der nächste. Wichtig ist nur, dass alles darunter gleichgeschalten wird. Gelingt das Hofer mit Kickl oder umgekehrt, dann geht deren Höhenflug weiter. Harmonie und einfache Themen vor komplizierten Lösungen von komplizierten Sachthemen. Hagen Rether, den ich sehr schätze, meinte einmal, wir wünschen uns einen Kaiser zurück, damit wir ihn blöd finden können. Das gilt meiner Ansicht nach in Österreich gleichsam.

Und die SPÖ? Die hat neben dem nichtssagenden ‚Österreich zuerst’, ‚Jetzt erst recht’ und ‚Kurz’ die Themen, die gelöst werden müssen. Aber sie haben keine/n Führer/in. Sie haben einen Doskozil vom rechten und einen Schieder vom linken sozialdemokratischen Rand. Dazwischen haben sie eine Rendi-Wagner und Drozda, einen Max Lercher, einen (namentlichen) Kaiser und einige mehr, die zwar sozialdemokratisch, aber nicht mit einer Zunge sprechen. Und gerade das finde ich gut. Das ist die Vielfalt, die eine – immer noch – große Bewegung braucht, um nachhaltig gesund zu bleiben. Ich brauche keine Gleichschaltung der Meinungen. Das (Zusammen)Leben ist nicht einfach, Politik kann und darf es auch nicht sein. Nach einfachen Lösungen zu hecheln kann uns nur kurzfristig helfen (Wortspiel gewollt). Was passiert, wenn Kurz nach seinem annähernd absoluten Wahlerfolg im Herbst mit Millionen und einem mächtigen Posten in der Privatwirtschaft geködert wird? Übernimmt Blümel? Das wird sich wohl niemand bei den Türkisen wünschen, und bei den Schwarzen, falls es die noch gibt, noch weniger.

Sollte es nicht besser sein, in einem sozialen und demokratischen Team mit wenig Stimmen, aber mit Meinungsfreiheit zu sein, als in einem meinungsbefreiten Team, das blind einem großen Zampano zujubelt?

Was die Sozialdemokratie natürlich verbessern muss, das hat sie scheinbar in ihrer langen Tradition verlernt, ist der gezielte Aktionismus. Mit ein wenig Neid, aber viel Freude blickt man auf das gelungene Comeback der Grünen, die zwar auch wieder eine authentischen Parteispitze installiert haben, aber das Befüllen der Straße mit Fridays For Future hat ein wichtiges Thema in die Medien gebracht und noch wichtiger den Zorn der Konzernlobby auf sich gezogen. Es gab noch nie etwas Besseres für einen Filmproduzenten, als ein Verbot des Filmes durch die Kirche. Gratulation, was hier bewegt wurde und wird, ist ganz wichtig und bedeutsam.

Davon muss sich die Sozialdemokratie eine bis hunderte Scheiben abschneiden. Gegen das Bild des Establishment hilft nur, wenn man die oben angesprochenen Themen auf die Straße bringen. Wurde schon vor ‚steuersparenden’ Konzernen demonstriert? Wurde schon einmal eine Quelle medienwirksam zu Nestlé (vielleicht dann irgendwann mal mit Kurz im Vorstand, nachdem alles ‚gerichtet‘ wurde) und Co umgeleitet? Wir verlassen die Wohlfühlzone nicht mehr, auch wenn Feiertage, Freizeit, Gesundheit, Work-Life-Balance und vieles mehr scheibchenweise reduziert werden.

Um das anfängliche Bild abzurunden. Wir brauchen nicht immer das Pferd austauschen, sondern wir brauchen für viele Reiter viele geeignete Pferde. Und wir müssen sie reiten.

Bilder: pixabay

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Gemeinde. Eine soziale Gruppe, die ein starkes Wir-Gefühl hat.

  1. Helmut Hofmann

    Eine interessante Anicht, die allerdings ein wesentliches Faktum ausklammert: eine Volksvertetung, die die eben erst kundgetane Volksmeinung einfach nicht zur Kenntnis nimmt, ist das Kernproblem (kein Wortspiel) der Sozialisten. Bei aller gebotenen Differenzierung von EU-Wahlen und Wahlen zum österreichischen Nationalrat: das Votum vom Sonntag war wohl wirklich alles andere als ein Auftrag, Kurz samt seinem Kabinett abzuwählen. Ich glaube, die SPÖ wird für diese gemeinsame Aktion mit der von ihr immer wieder geschmähten und ausgegrenzten FPÖ von den eigenen Wählerinnen und Wählern ganz fürchterlich abgestraft werden, sie kann sich dabei an der SPD orientieren. Man kann das Volk eine zeitlang populistisch an der Nase führen, aber irgendwann kommt die Reaktion der Genasführten. Wäre es nicht so, hätten wir kein Orbán-Problem. Auch Orbán ist ein Produkt katastrophaler sozialdemokratischer Unglaubwürdigkeitspolitik, das sollte man nicht vergessen. Was die SPÖ derzeit produziert, ist nicht ein Jota glaubwürdiger. Schade um diese noch voreinem halben Jahrhundert so staatstragende, verantwortungsbewusste politische Bewegung.

    PS.: Wortspiele mit Eigennamen gelten als die dümmsten, als nicht einmal volksschultauglich. Das gilt sogar für (gewollt) unabsichtliche, umso mehr für (absichtlich) gewollte.

    • behling

      Ich klammere nichts aus, allerdings schafft es niemand, in einem Artikel das gesamte Weltgeschehen samt Historie einzufangen, überhaupt, weil es mir als Autor um etwas ganz anderes ging.

      Warum ich aber dennoch nicht Ihrer Meinung bin:
      Ich unterscheide sehr wohl zwischen Wahlen auf EU-Ebene, Bund, Land und Gemeinden. Dass es ein paar Kernwähler gibt, die ihre Partei allein wegen der Partei unterstützen, wird schon so sein. Eine Aussage für oder gegen einen Misstrauensantrag in eine Europawahl zu legen, ist meiner Ansicht nach sehr weit hergeholt. Die Basis der SPÖ war größtenteils für den Misstrauensantrag und das wäre ganz genau das Gegenteil von Demokratie, wenn eine Partei ihren Wählern nicht im Wort bleibt.
      Weiters fällt mir auf, dass Sie Spins gerne übernehmen. Recherchieren Sie einmal, wie viele Anträge bereits von SPÖ und FPÖ gemeinsam getragen wurden. Das war sicher nicht das erste Mal. Daraus eine Koalition zu tischlern ist ein – sagen wir einmal – sehr bescheidener Zugang. Ich selbst werde das eine oder andere im FPÖ-Programm finden, das ich für richtig empfinde. Daraus eine gewünschte Partnerschaft zu erkennen, wäre sehr, sehr eigenartig. Für mich erschreckend, wie leicht man auf Spins aufspringt und ich erkenne langsam die große Macht von Kurz.

      Ich bin kein Gloryhunter, ich entscheide meine politische Ausrichtung nicht anhand von Wählerstimmen und Erfolg, sondern nach Werten. Und wenn die Partei meine Werte vertritt, dann bin ich zwar traurig, wenn sie wenig Stimmen macht, aber beurteilen werde ich eine Partei nie nach Stimmen.

      PS: Ich bitte um eine Quellenangabe, dass Wortspiele mit Eigennamen als die dümmsten gelten. Ich für meine Person empfinde oberlehrerhafte Belehrungen deutlich dümmer, überhaupt wenn – wie in meinem Fall – das Wortspiel nicht beleidigend oder diffamierend benutzt wurde.

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